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Andreas «Boppi» Boppart |
Kürzlich bin ich gestolpert, über das Wort «Ausharren». Und stellte überrascht fest, wie häufig es in der Bibel vorkommt. Ausharren scheint für einen gesunden Glauben absolut unverzichtbar zu sein. Eine vergessene Tugend, die unsere Generation unbedingt neu buchstabieren muss.
Wörter können wild und gefährlich sein oder auch harmlos und träge wirken. Sie können wohlige Gefühle wachrufen oder Kontraktionen im Magen verursachen. Manche Wörter tragen eine farbige Wolke mit sich wie ein Kind einen Ballon nach dem McDonald’s-Besuch. Manche Wort-Ballone sind farblos und grau, andere hoffnungsvoll grün, tiefsinnig dunkelblau oder farbenfroh gesprenkelt. «Ausharren» hat etwas grell Oranges. Nicht unschön, aber ein bisschen giftig, sperrig und angriffig. Vor allem fadet die Farbe wie bei einem PowerPoint-Effekt erst langsam ein, um dann umso sanft-penetranter zu wirken.
DIE KONSTRASTBEWEGUNG
«Ausharren» klingt definitiv nicht neutral. Irgendetwas in mir sträubt sich, das Wort einfach so zu mögen. Als Kind unserer Zeit steh ich damit keineswegs allein da. Die gegenwärtig heranwachsende Gen Z ist die erste Generation, die von Geburt an untrennbar mit dem Smartphone verwoben aufwächst. Für sie sind sofortiger Zugang zu Informationen und permanente Erreichbarkeit gegeben. Erstaunlicherweise führt das zu einer Gesellschaft, die mehr Wissen verfügbar hat, als jede Generation zuvor und doch weniger fähig ist, Wissen anzuwenden. Sie hat mehr Kommunikationskanäle als je und ist im kommunikativen Umgang nicht besser geworden. Sie hat mehr Optionen und ist weniger imstande als je, nachhaltige Entscheidungen zu fällen. Vor allem aber hat sie sich an die Geschwindigkeit gewöhnt und weiss nicht mehr, dass manche Dinge Zeit brauchen.
Welch Gegensatz zu unserem Sommereinsatz als Familie in Tansania: Als ich die Verantwortlichen der Kirche fragte, wann der Gottesdienst beginnt, bei dem ich predigen sollte, bekam ich als Antwort keine Uhrzeit. «Wenn alle da sind», hiess es pragmatisch. Und irgendwann zwischen 10.00 und 12.00 Uhr werden bestimmt alle da sein, warum also nervös auf die Uhr schauen. Tatsächlich hat mir der African Way sehr gut getan – obwohl ich mich ab und zu dabei ertappte, im Tagesablauf nach Fixpunkten zu suchen, die mir Orientierung gaben. Es half, mir selbst zuzureden, dass das «Hier sein» und das Warten, bis es Essen gibt, auch mit Leben gefüllt ist.
Und mir ist neu klar geworden, weshalb in unserem durchgetakteten Leben im Westen so viele Menschen Entschleunigung und Ruhe suchen, Achtsamkeit und Einfachheit üben und auch im gottesdienstlichen Rahmen ruhige, klösterliche und liturgische Elemente immer mehr Einzug halten.
DARUNTER BLEIBEN
Der Wortschatz einer Sprache sagt viel über die jeweilige Kultur aus. In Indonesien gibt es ein paar Dutzend Worte für Reis. Inuit haben mehrere Bezeichnungen für Schnee. Die Art und Häufigkeit, wie Menschen Worte verwenden, verdeutlicht deren Stellenwert in ihrem Alltag. Das Wort «Ausharren» glänzt dabei hierzulande grossflächig mit Abwesenheit. Es taucht schlicht nirgends auf. Es verdeutlicht den Puls einer Gesellschaft, die Ausdauer haben und Warten können genauso verdrängt wie etwa die Frage nach Gott oder die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod.
Während ich diese Zeilen schreibe, harre ich einmal mehr in der Deutschen Bahn aus, irgendwo im Niemandsland. «Fahrwerkstörung» oder so heisst es dann meistens. Es trifft zurzeit bei so ziemlich jeder meiner Reisen in Deutschland ein und das Überraschende ist, dass es mich jedes Mal wieder neu nervt. Ich ergebe mich einmal mehr meinem Schicksal, harre aus und warte, bis es irgendwie weitergeht. Und plötzlich realisiere ich, dass es sich im Glaubensleben genauso verhält. Fast immer geschieht etwas, das uns zwingt, zu warten, und oft ist das Einzige, was wir tun können, da wo wir gerade sind auszuharren, bis es weitergeht.
Der biblische Begriff für «Ausharren» bedeutet wörtlich übersetzt «darunter bleiben». Unter etwas bleiben wie unter einem Schirm. Es bedeutet, im Leben und besonders in schwierigen Situationen nicht einfach «auszusteigen» und davonzulaufen, sondern «darunter zu bleiben». Manchmal ist das überlebenswichtig. Im Militär war ich in einem Lawinenkurs, als wir in einer Hüte auf fast 3500 Metern von einem gewaltigen Schneesturm überrascht wurden. Während fast drei Tagen war es unmöglich, sich mehr als ein paar Meter von der Hütte wegzubewegen. Wir konnten nicht evakuiert werden und hatten keine Möglichkeit, mit unseren Skiern das Tal zu erreichen. Also harrten wir in der Hütte aus – die Nächte lag ich lange wach, direkt unterm Dach, während einen Meter über mir der Sturm unerbittlich tobte. Manchmal möchte ich genau das Gegenteil: mich in unangenehmen Situationen «darüber erheben». Ich möchte die Dinge beschleunigen, Abkürzungen nehmen, ausweichen und davonlaufen. Aber viele Prozesse im Leben sind abkürzungsfrei angelegt und müssen durchlebt werden. Oft erst im Rückblick können wir die Schätze erkennen, die wir aus solchen Lebensphasen gewonnen haben. Und wir entdecken, dass es nicht um das schnellstmögliche Erreichen eines Ziels geht, sondern sich Leben gerade in der Warte- und Ausharrezone abspielt. Verbunden mit wertvollen Lektionen, entscheidenden Begegnungen und schönen Dingen, an denen wir sonst ignorant vorbei geeilt wären.
DAS AUSHARREN DES CHRISTUS
Ausharren ist weder meine Königsdisziplin noch eine meiner Geistesgaben. Eher ein Wachstumsbereich mit viel Luft nach oben. Doch beim Lesen in der Bibel ist mir in den vergangenen Monaten dieses Wort wie noch nie an vielen Stellen aufgeleuchtet. Nur ein paar Beispiele:
Römer 5,3-4 sagt, dass uns das Ausharren in Drucksituationen zu bewährten und hoffnungsvollen Menschen macht: Wir rühmen uns auch in den Bedrängnissen, da wir wissen, dass die Bedrängnis Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung.
Hebräer 6,12 fordert uns auf, nicht träge zu sein und aufzugeben, sondern dranzubleiben, um Gottes Verheissungen zu erleben: … damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Ausharren die Verheissungen erben.
FRUCHT BRINGEN DURCH AUSHARREN
Das führt zu einem nächsten Aspekt des Ausharrens, den wir bei Lukas 8,15 finden: Das in der guten Erde aber sind die, welche in einem redlichen und guten Herzen das Wort, nachdem sie es gehört haben, bewahren und Frucht bringen mit Ausharren.
Als Campus-Bewegung wollen wir Frucht bringen, wie auch immer diese Frucht in den einzelnen Ministries definiert ist. Ich selbst möchte auch ein «fruchtbares» Leben leben. Dass man aber an Früchten nicht ziehen kann, damit sie schneller wachsen, ist selbst denen klar, die keinen Garten haben. Frucht bringen ist untrennbar verbunden mit dem Warten auf Wachstum, das nicht in unseren Händen liegt. Und das bringt den Faktor Zeit ins Spiel. In Psalm 1 heisst es, dass der Mensch Frucht bringen soll zu seiner Zeit und dass seine Blätter nicht verwelken. Das lässt uns entspannt leben, selbst wenn in einer Phase des Ministries oder auch des Lebens die Frucht mal ausbleibt. Das Wachstum der Frucht liegt nicht in unseren Händen – unser Part ist es nur, zu schauen, dass wir nah am Wasser bleiben. Die Frucht selbst ist Gottes Sache.
DER JAHRESZYKLUS DES AUSHARRENS
Ausharren gehört zum Leben wie der Winter zum Jahreszyklus. Sich in diesen Zeiten das Vertrauen zu bewahren, fällt nicht immer einfach. Und es ist tröstlich, dass es selbst den Besten nicht immer gelingt. Für mich ist Johannes der Täufer ein wohltuendes Beispiel. Bei ihm sind Lebensphasen ersichtlich, bei denen uns unerschütterlicher Glaube aus allen Poren entgegendrückt. Aber er kennt auch die andere Seite der Glaubensmedaille. In seinen «hohen» Zeiten klingt es so: «Seht, hier ist das Opferlamm Gottes, das die Sünde der ganzen Welt wegnimmt!» Oder: «Das habe ich nun mit eigenen Augen gesehen, und darum bezeuge ich, dass dieser Mann der Sohn Gottes ist» (Johannes 1,29.34). Geballte Überzeugung lag in seinen Worten. Aber dann läuft das Leben plötzlich nicht mehr rund, die begeisterte Menge ist weg, und Johannes versinkt in der Einsamkeit seiner Gefängniszelle. Seine innere Reise schlägt sich in der so nachvollziehbaren und schier brüchig anmutenden Frage an Jesus nieder: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? (Matthäus 11,3). Das Leben von Johannes war gezeichnet von Warten. Von Warten und Ausharren. Vom Warten auf den Einen. Und dieses Ausharren war geprägt von Momenten tiefsten Vertrauens, aber auch durchzogen von Momenten des Zweifelns, die alle «Glaubenswahrheiten» brachial in den Hintergrund drückten. Dieses Spannungsfeld nennt man «Leben».
Gott ist nicht erschüttert über das Wechselbad unseres Glaubenslebens. Er bleibt Gott und er bleibt treu, selbst wenn wir ihn zwischenzeitlich kaum erkennen können. Das können Phasen sein, in denen uns eine Krankheit, ein Schicksalsschlag oder ein durchkreuzter Plan aus der Bahn wirft. Eine ungeklärte oder spannungsgeladene Beziehung auf der Seele lastet. Existentielle Sorgen oder auch Glaubenszweifel in grossen Lebensumbrüchen umtreiben.
Gerade unsere (christliche) Instant-Generation tut gut daran, von Johannes warten und ausharren zu lernen und unabhängig von Lebensumständen fest auf Christus ausgerichtet unterwegs zu bleiben. Manchmal mutig und überzeugt, manchmal fragend und zweifelnd. Jedoch in allem sich Christus immer neu zuwendend und auf ihn zulebend.